Warum eine Handtasche auch verletzen kann – Schwulen Witze und ihre Wirkung

Vor kurzem war ich auf einem Konzert, bei dem wir alle vom Veranstalter eine Tragetasche geschenkt bekamen. Ein etwa 60-jähriger Mann hielt diese in der Hand, während er nach seinem Platz in der Reihe vor uns suchte. Aus unserer Gruppe kommentierte ein Mann das flapsig mit „schöne Handtasche!”, woraufhin der ältere Mann wortlos schmunzelte und eine Sekunde lang etwas affektiert herumtänzelte.

Zuallererst möchte ich würdigen, wie schön es ist, dass Menschen für Heiterkeit sorgen möchten und spontan etwas in die Runde werfen, was zur gemeinsamen Belustigung beitragen kann. Wir brauchen Menschen, die Leichtigkeit und Lachen in unser aller Leben bringen.

Schöne Handtasche. Das sind nur zwei Worte, die aber eine Grenze schaffen zwischen den „richtigen“ Männern – und den Männern, die als unmännlich gelten. Bei einem Mann jedoch, der seit seiner Grundschulzeit für sein wahrgenommenes Anderssein als Schwuchtel, schwul oder gay beschimpft wurde, löst dieser Witz die alten Gefühle von Traurigkeit, Unvollkommenheit und ohnmächtiger Wut aus, die in der sensibelsten Phase seines Lebens entstanden sind. 

Die meisten der heute erwachsenen Männer sind in einer Welt aufgewachsen, die jedes Zeichen von Weichheit und Sensibilität bei Männern ablehnte. Die Ansicht, dass ein kleiner Junge nicht so zu sein hat wie ein Mädchen, wurde und wird auf vielen Schulhöfen, in Klassenzimmern, in Familien, im Fernsehen, in der Kirche und unter anderem in der Werbung ständig wiederholt und ist bis heute allgegenwärtig, zumindest außerhalb moderner Großstädte.

Auch wenn sich zumindest in einigen Teilen der Welt allmählich andere Ansichten durchsetzen, wirken viele traditionelle Vorstellungen unbewusst weiter. Denn die Meinung, dass ein Junge und später ein Junge „männlich“ zu sein hat – und ein Mädchen „weibliche“ Eigenschaften zeigen soll –, ist tief in den Köpfen und Herzen aller heute Erwachsenen verankert und zeigt sich auch in Form scheinbar harmloser Witze. 

Die damals von Diskriminierung und Sexismus betroffenen Menschen spüren ihre Verletzungen bis heute. Meine Frage ist deshalb: Möchten wir mit unserem Humor Salz in die seelischen Wunden der Menschen reiben, die über Jahrzehnte mit Gefühlen der Minderwertigkeit und dem Ausgeschlossensein zu kämpfen hatten?

Ich erwarte nicht, dass wir alle jedes Wort auf die Goldwaage legen und immer jede einzelne Konsequenz unseres Handelns zu Ende bedacht haben, bevor wir agieren. Wir alle machen auch Fehler und unsere Handlungen haben manchmal Konsequenzen, die wir vorher nicht abschätzen konnten. Trotzdem möchte ich in einer Welt leben, in der wir uns für das Wohlbefinden aller interessieren. Eine Welt, in der wir versuchen, unseren Horizont zu erweitern, indem wir uns bemühen, zu spüren, wie eine Sache aus einer anderen Perspektive aussehen und sich anfühlen kann. Und in der wir versuchen, die Schäden unseres Verhaltens zu begrenzen.

“Schöne Handtasche!” gilt nur dann als witzig, wenn man es absurd findet, dass ein Mann feminine Züge haben kann. Der Witz beruht auf der Vorgabe, dass Männer feminine Dinge für sich ablehnen sollen, weil sie überlegen sind. Somit enthält der Witz eine Abwertung von femininen und schwulen Männern – und im Grunde auch von Frauen. 

Es ist für Männer schädlich, so zu denken. Es wird impliziert, dass ein Mann seine weicheren Züge ablehnen soll, statt diese zu würdigen und mit ihnen im Einklang zu sein. Die patriarchale Gesellschaftsordnung propagiert eine Idee der Männlichkeit, die Männern große Teile ihrer Menschlichkeit entzieht, nämlich ihre Fähigkeit, offen auf ihre eigenen Emotionen und Bedürfnisse und damit auf sich selbst und andere einzugehen. Das fördert eine Reihe ungesunder Überzeugungen z.B., dass es gut und richtig ist, immer die Kontrolle zu haben, übermäßig Alkohol zu konsumieren und Macht über andere zu haben, statt Macht mit anderen zu teilen. Gefühle von Verletzlichkeit und Unsicherheit werden abgelehnt, der Ausdruck von anderen Emotionen als Wut wird nicht anerkannt. Dies alles wiederum führt dazu, dass Männer im Durchschnitt mehr als siebenmal so lange warten wie Frauen, bevor sie Hilfe bei psychischen Problemen in Anspruch nehmen. Es trägt auch dazu bei, dass Männer deutlich mehr Gewalttaten verüben, häufiger ins Gefängnis kommen – und dass die Suizidrate bei Männern doppelt so hoch ist wie bei Frauen. 

„Schöne Handtasche“ ist so viel mehr als ein lustiger Kommentar, den wir einfach überhören können. Diese beiden Worte tragen zur Aufrechterhaltung eines Mythos bei, der gefährlich ist für Männer und ihre psychische und körperliche Gesundheit. Ebenso für Frauen, die emotional tiefe Beziehungen mit uns suchen und für unsere Kinder, die von uns lernen, was es bedeutet, männlich oder weiblich zu sein.

Ich habe viel Verständnis dafür, dass der Mann, der „Schöne Handtasche!“ sagt, wahrscheinlich mittlerweile viele Jahre lang von anderen heterosexuellen Männern umgeben war, die ähnliche Witze gemacht haben. Er hat wahrscheinlich dabei auch gelernt, selbst solche Witze zu machen und sichert sich damit seinen Platz im Kreis der dominanten heterosexuellen, männlichen Kultur der älteren Generation. Damit ist ihm, vermute ich, in Fleisch und Blut übergegangen, dass ein Mann mit einer Handtasche absurd ist und darum kommt spontan solch ein Kommentar über einen anderen Mann mit einer Tasche in der Hand.

Ich bitte aber alle, darüber nachzudenken, wen sie ausschließen, wenn sie solche Witze machen. Welche Schmerzen sie bei anderen reaktivieren – und welche Teile in sich selbst sie versuchen zu verleugnen. Und ich fordere andere Menschen auf, alle Kommentare oder Handlungen in Frage zu stellen, die einen vermeintlich „weiblichen“ Ausdruck eines Mannes verhöhnen. Ich bitte alle, sich vor Augen zu halten, dass es darum geht, alle Männer zu schützen – ebenso wie die Frauen und die Kinder, die diese Männer lieben. 

Lassen Sie uns in einer Welt leben, in der wir alles dafür tun, dass Bilder von einseitiger Männlichkeit und Weiblichkeit der Vergangenheit angehören und wir uns frei entfalten können, damit wir zufrieden mit uns und der Welt um uns herum werden können.

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